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Der ganz normale Wahnsinn

Die Welt steht auf kan Fall mehr lang. Wissen wir spätestens seit Nestroys Lumpazivagabundus. Hundert Jahre später betrat mit Helmut Dietl ein Beobachter und Inszenierer vom selben Kaliber die Bühne. Und widmete sich wieder der Absurdität menschlicher Existenz. Erinnern Sie sich noch an „Der ganz normale Wahnsinn“? Ich sag nur „Wo ist meine kleine gelbe Chinalackdose?“. Zum Schreien! Herrlich, Towje Kleiner als durchgeknallter Journalist Maximilian Glanz, der mit der Liebe und dem Leben hadert und vergebens versucht, das Buch der Bücher zu schreiben. Zentrale Frage des Werkes: „Woran es liegt, dass der Einzelne sich nicht wohl fühlt, obwohl es uns allen doch so gut geht“. Das frag ich mich auch schon seit längerem. Mit dem Wahnsinn ist es ja so eine Sache. Man kommt ihm nicht aus. Er umgibt uns wie die Sardelle die Kaper. Wie der Prosciutto das Saltimbocca. (Verzeihen Sie, vor dem Mittagessen häufen sich bei mir immer die lukullischen Metaphern. Vielleicht auch eine Art von Wahnsinn.) Damit noch einmal zur Causa Prima. Vor ein paar Tagen lese ich beim Frühstück in ein und derselben Zeitung folgende Geschichten.

Story 1: Eine junge Wienerin ist auf der Südautobahn in Richtung Wien unterwegs. Die Fahranfängerin fährt seelenruhig auf der Mittelinie dahin, was den nachkommenden Fahrzeugen ein Überholen unmöglich macht. Die Frage, warum sie auf dem Strich fährt, bleibt unbeantwortet. Unmittelbar hinter ihr der Kleinlastwagen eines Botendienstes. Als die Wienerin nach einigen Kilometern auf den Autobahnparkplatz fährt, tut es ihr der LKW-Lenker gleich. Es kommt zu einer hitzigen Debatte. In der Folge watscht der aufgebrachte Lastwagenfahrer Grazer Herkunft die Autofahrerin ab und fährt davon. Frage: Is das der Steirische Brauch?

Story 2: In der Salzburger Justizanstalt läuft derzeit eine Umfrage. Ziel ist es, ein Stimmungsbild davon zu bekommen, wie sich die Inhaftierten fühlen, wie sie mit dem Alltag im Gefängnis zufrieden sind und wo es Verbesserungen geben könnte. Frage: Kommt es nur mir seltsam vor, wenn in Zeiten von Sparpakten, Wirtschaftskrisen, Bankenrettung, Griechenlandrettung und Rettung der Erde überhaupt der Eindruck entsteht, dass das Club Med Konzept auf österreichische Haftanstalten übertragen werden soll?

Story 3: Ungewöhnlicher Prozess am Bezirksgericht Wolfsberg: Eine 18-jährige Lavanttalerin sitzt auf der Anklagebank, weil sie ihren Vater via Facebook beschimpft hat. Der Mann zog seine Klage jedoch gleich zu Verhandlungsbeginn zurück. Frage: Sollte man sich manche Dinge nicht gleich ins Gesicht statt ins Gesichtsbuch sagen?

Story 4: Ein Amerikaner wurde bereits zum sechsten Mal vom Blitz getroffen. Er scheint Blitzeinschläge anzuziehen, sagt jedoch, dass er bislang fünfmal verheiratet war und offenbar für jede Ehe mit einem Blitzschlag bedacht wurde. Ob seine derzeitige Ehe vor der Auflösung steht, wollte der Mann aus dem US-Bundesstaat South Carolina nicht beantworten. Frage: Muss es nicht so sein, dass einen die Liebe wie ein Blitz trifft?

Story 5: Eine 84-jährige Frau aus dem deutschen Brandburg hat ihre 30 Kaninchen mit Hanf gefüttert. Sie hätte die Cannabisstauden für Unkraut gehalten und den Tieren habe das Futter besonders geschmeckt. Die Polizei prüft nun den Rauschgiftgehalt der Pflanzen am nahegelegen Acker, wenn dieser zu hoch ist, dann droht der betagten Frau eine Anzeige. Frage: Hätte die Dame nicht ohnehin bald ins Gras gebissen?
Story 6: Und dann fuhr dann noch ein 30jähriger mit seiner 23jährigen Freundin am Sozius mit 300 km/h auf der Westautobahn in Richtung Linz. Ein dringender Termin hätte die dynamische Fahrweise sozusagen erzwungen. Der Bremsweg auf null dauert übrigens einen halben Kilometer. Frage: Geht´s noch?

Mir geht es eigentlich ganz gut so weit. Ich glaube, man muss mit dem täglichen Wahnsinn Freundschaft schließen. Und ich hab da eine These, über die, die so gerne ganz normal sein möchten. Über die, die sich ständig ducken und ja nicht auffallen wollen. Über die, die Angepasstheit als Lebensphilosophie zelebrieren. Über die Biedermänner und die Blockwarte, die ihre Gefühle verschnüren und ihre wilde Seite niemals rauslassen. Das sind nämlich die Autobahnabwatscher. Das sind die Eigenekinderkläger. Wahrscheinlich, weil sie sich selbst zuwider sind. Dietls Maximilian Glanz formulierte das so: „Man könnte leben, aber man lässt nicht.“ Touché!