Darwin in Karenz
So. Jetzt haben wir wieder 364 Tage Ruhe. Alice Schwarzer brachte es gestern in einem Interview auf den Punkt: „Schaffen wir ihn endlich ab, diesen gönnerhaften 8. März! Und machen wir aus dem einen Frauentag im Jahr 365 Tage für Menschen, Frauen wie Männer“. Danke, Frau Schwarzer, meine Rede! Und bevor Sie mich steinigen: Ich finde Frauen toll! Frauen wie die US-Amerikanerin Kathryn Bigelow, die gestern bei den Acadamy Awards als erste Frau den Regie-Oscar erhielt. Frauen, wie die evangelische Landesbischöfin, die aus einem persönlichen Fehltritt ihre Konsequenzen gezogen und alle ihre Ämter niedergelegt hat. Frauen wie die deutsche Schauspielerin Simone Thomalla, die sich mit 44 noch für den Playboy auszieht. So what? Frauen aus meinem beruflichen Umfeld, die Dank ausgezeichneter Ausbildung, hoher Professionalität und beeindruckendem Einsatz tagtäglich einen großartigen Job machen. Frauen, die sich mit Engagement und Hingabe der Erziehung ihrer Kinder widmen. Ja, Frauen sind toll.
Und ja, wir kritisieren zu Recht, dass Frauen immer noch deutlich weniger verdienen als Männer. Wir kritisieren zu Recht, dass auf höheren Hierarchieebenen, in Führungspositionen, sehr wenige Frauen vertreten sind. Aber: Ich finde diesen Fokus auf die weibliche Sicht der Dinge unerträglich eindimensional, unzeitgemäß und diskriminierend. Die Forderung nach Vereinbarkeit von Kind und Karriere oder die Überbrückung des Gender Pay Gap sind doch keine isoliert weiblichen Probleme, es sind schlicht und einfach neue gesellschaftliche, wenn Sie so wollen, menschliche Herausforderungen, denen sich heute Frauen wie Männer stellen müssen. Ein leitender Angestellter eines deutschen Konzerns sagte vor kurzem In der Wirtschaftswoche: „Der moderne Manager ist ein “familienferner Lebensnomade. Seine Firma verlangt den ganzen Mann, rund um die Uhr und rund um den Globus, dafür wird er schließlich bezahlt, und nicht nur er, auch seine Frau und seine Kinder stehen auf der Gehaltsliste der Firma, als entfernte Angestellte gewissermaßen, weil auch sie ihr Leben dem Job unterordnen…” Oder nehmen sie die Väterkarenz, die in Österreich noch immer ein Exotenimage hat. Im Jänner 2008 haben laut Statistik Austria 166.648 Personen Kindergeld bezogen, davon 160.376 Frauen und 6272 Männer, also heiße 3,8 Prozent. Lachhaft!
Aber liegt der Grund für diese Starre, diese Trägheit im System, die Selbstgefälligkeit der Old Boys Networks nicht auf der Hand? Haben wir die Verantwortung nicht viel zu lange abgewälzt und die Dinge schleifen lassen? Bewusstseinsbildung in den Unternehmen ist die eine Sache. Aber gleichzeitig ist es grob fahrlässig, die Verantwortung allein der Wirtschaft zu überlassen. Viel zu groß ist das Risiko, dass Gleichberechtigung zum „Nice-to-Have“ wird, ein Gadget, das man sich in wirtschaftlich guten Zeiten leisten kann. Willensbekundungen und mündliche Zugeständnisse reichen nicht, um tradierte Rollenmuster nachhaltig aufzubrechen. Was wir brauchen, sind sinnvolle strukturelle Maßnahmen. Klug. Und im Gesamtkontext entwickelt. Und bitte nah an den Menschen dran. Und wäre es nicht viel stimmiger, wenn wir zur Abwechslung nicht von einer Frauenquote sprächen, sondern von der Notwendigkeit zur Vielfalt, von Diversity? Studien belegen: Entscheidungsgremien treffen bessere Entscheidungen, Unternehmen arbeiten gewinnbringender, wenn sie auf eine Vielfalt an unterschiedlichen Persönlichkeiten, Denkansätzen, Lebenswelten, Erfahrungen und nicht zuletzt auf ein ausgeglichenes Verhältnis der Geschlechter zurückgreifen können.
Wenn wir Quoten brauchen, um dieses Gleichgewicht herzustellen – bittesehr. Ich finde Quoten sind kein besonders elegantes Instrument, aber im Augenblick das effizienteste, das wir kennen. Denn in unserer gesellschaftlichen Struktur gibt es offenbar Mechanismen, die die Vielfalt am Durchbrechen hindern. Dass es auch anders geht, zeigt das norwegische Beispiel. Seit Anfang 2008 müssen in jedem börsennotierten Unternehmen in Norwegen 40 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder Frauen sein. Ansonsten droht die Schließung. Und es funktioniert. Interessanterweise wurde dieser Gesetzesantrag von einem konservativen Wirtschaftsminister umgesetzt. Ich weiß, wir sind spät dran, weil wir 150 Jahre lang, fast die ganze Herrschaftszeit der alten Wirtschaft über, Charles Darwin nicht wirklich zugehört haben. Vielfalt ist die Grundlage des Lebens, hat er uns gelehrt. Variantenreichtum, nicht Einheitlichkeit, ist die Grundlage für Erfolge. Und wenn die Vielfalt weiblich ist, umso besser.*
* vgl. Brand eins, 04/2009