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Baumgartners Purzelbaum

Eigentlich wollte ich mich ja mit der Frage beschäftigen, warum Langeweile nicht langweilig ist. Aber das Red Bull Stratos-Projekt interessiert mich im Moment mehr. Im Österreichischen Rundfunk (ORF) verfolgte ich gestern phasenweise die Livesendung zum Thema, weltweit haben unzählige Fernsehstationen und Internetplattformen dieses Spektakel, bei dem insgesamt 4 Weltrekorde gebrochen werden sollten, übertragen. Das Wetter hat diesem PR-Event einen Strich durch die Rechnung gemacht, aber vielleicht war sogar das Teil der Inszenierung. Felix Baumgartner braucht aus meiner Sicht gar nicht mehr zu springen. Sein Mut, sich auf dieses Wagnis einzulassen, ist zu respektieren und anzuerkennen, er wird ganz sicher – trotz Wetterkapriolen – Weltrekordhalter in den Disziplinen höchster bemannter Ballonflug (36.576 Meter) sowie höchster Fallschirmsprung. Zudem wird der österreichische Extremsportler als erster Mensch im freien Fall die Schallmauer durchbrechen und noch ganz nebenbei den längsten freien Fall – ungefähr fünfeinhalb Minuten – absolviert haben. Der 43-Jährige ist eher nicht der Typ „Warmduscher“, sondern ein ganzer Kerl. Ich würde in solchen Situationen meinen Feinripp benetzen (oder anders gesagt, mir in die Hose machen), er aber sprang bereits von der Christusstatue in Rio de Janeiro, den Petronas Twin Towers in Kuala Lumpur und überflog beispielsweise 2003 den Ärmelkanal im freien Fall. Zwei Meter breite Kunststoffflügel auf seinem Rücken halfen ihm, die Dutzenden Kilometer zurückzulegen, wie man in seiner Biographie nachlesen kann.

Die fliegenden Stiere von Red Bull sind Sinnbild für besondere Leistungen, wenn man von den “Hundskickern” bei Red Bull Salzburg absieht, wo die versprochene Wirkung des koffeinhaltigen Energy-Drinks offensichtlich seit Jahren die gegenteilige Wirkung hat. Aber beim aktuellen Stratus-Projekt haben es die PR Strategen des Dosenherstellers wieder mal geschafft, eine Stimmung zu erzeugen, die Millionen von Menschen in ihren Bann gezogen hat. Medien auf der ganzen Welt stellen dafür Coverstories und Platz für Reportagen zur Verfügung, ein millionenfacher Geldwert, den Red Bull für Baumgartners Purzelbaum aus dem All generieren kann. Unser staatlicher Unterhaltungssender sendete schon in Erwartung des freudigen Sprungs stundenlang live und richtete sogar eine Außenstation in Roswell im US-Staat New Mexico ein, wo ein ganzes Team das Geschehen vor Ort verfolgt. Zeitweise dachte ich mir schon, es betritt mit dem gebürtigen Salzburger Felix Baumgartner der erste Mensch den Mond. Gratulation an alle, die an der Vermarktung mitgewirkt haben, das ist die wahre Leistung bei diesem Projekt!

Red-Bull-Stratos ist ein rein wissenschaftliches Projekt, wie die Verantwortlichen des 200 Mann und Frau großen Mitarbeiterstabes nicht müde wurden zu verkünden. Es klingt dann schon ein wenig unterhaltsam, wenn der Chef-Meteorologe des Projekts, Don Day, als Punkt 2 bei den Gefahrenquellen anführt, es könnten schon bei leichter Bewölkung die Linsen der Kameras beschlagen werden, erst danach führt er weitere Gefahrenquellen an, solche, die eher einen Menschen gefährden könnten. Kein Wunder, seit fünf Jahren tüfteln Jay Nemeth, der Regisseur der Höhenaufnahmen beim Red-Bull-Stratos-Projekt, und sein Team daran, wie die besten Bilder geliefert werden können, weiß der *ORF zu berichten um dann fortzufahren: Die Kapsel und der Druckanzug beherbergen insgesamt mehr Kameras als ein großer TV-Übertragungswagen. „Wir haben sozusagen ein fliegendes Videoproduktionsstudio erschaffen“, so Nemeth. „Um die Livesignale empfangen zu können, musste eigens ein spezielles Radioübertragungssystem mit fest installierten sowie mobilen Empfängereinheiten in einem Umkreis von 320 Kilometern von Roswell eingerichtet werden.”

Baumgartners Vorgänger, der Amerikaner *Joseph „Joe“ Kittinger sprang schon 1960, vor 52 (!) Jahren, sozusagen im computerlosen Zeitalter aus einer ähnlichen Höhe von 31.332 Metern in die Tiefe. Auf Wikipedia kann man dazu *nachlesen: “Er trug für diesen Sprung – neben seinem noch ungeöffneten Fallschirm und dem Druckanzug – einen Helm mit Funkgerät und Kamera sowie einen Kasten zur Datenaufzeichnung. Kittinger fiel vier Minuten und 36 Sekunden, bis sich in rund 5.500 Meter Höhe der Hauptfallschirm öffnete. Nach weiteren 9½ Minuten landete er sicher.” In der geplanten Live Berichterstattung zu Baumgartners Sprung war zu hören, wenn er dann sicher gelandet sei, dann werde er einmal zur Untersuchung in die Nahe gelegene Basisstation des “Projektes Stratos” mittels Hubschrauber geflogen. Ein anderer Diskussionsteilnehmer am Runden Tisch der Sondersendung wusste von „Joe“ Kittingers sicherem Aufprall zu berichten: “Nach der Landung saß er in der Landschaft, sein angeschwollener Arm wurde behandelt und er rauchte seelenruhig eine Zigarette.” Was muss dieser tapfere Kerl für schlechte PR-Berater gehabt haben, wenn man die “Inszenierung von Baumgartners Purzelbaum” aus heutiger Perspektive betrachtet. Oder ist diese Episode ja bloß für eine Epoche bezeichnend, in der noch nicht alles dem Geld untergeordnet gewesen ist?

* http://sport.orf.at/stories/2144985/2144694/ * http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Kittinger * http://de.wikipedia.org/wiki/Projekt_Excelsior