60 Prozent
Andreas Treichl hat sich also für seine „Blöd und feig“-Aussage entschuldigt. Wäre nicht nötig gewesen, finde ich. Sophie Karmasin hat heute eine Umfrage veröffentlicht, wonach 60 Prozent der Österreicher dem Erste Bank Chef beipflichten. Ich zähle mich auch dazu. Treichl hatte – sie verzeihen – die Eier, Tacheles statt Larifari zu reden. Das Ergebnis: Eine glasklare, politische Analyse. Mag sein, dass er mit seiner eher einfachen Wortwahl die Spitzen des Landes irritiert hat, aber dieser Rüffel war nötig, denn eine andere Sprache verstehen Faymann und Co in ihrem Wolkenkuckucksheim nicht. Die Frage ist berechtigt: Wie sollen unsere Minister Wirtschaftspolitik machen, wenn sie das Gefühl nicht kennen, Leistungen verkaufen zu müssen, statt in Stechuhrmentalität ihre Arbeitstage abzusitzen? Wie sollen sie realpolitische Maßnahmen setzen, wenn sie selbst nur ein mangelhaftes Sensorium dafür haben, wie verantwortungsvoller Umgang mit Geld aussieht? Jeder Unternehmer würde vor dem Richter stehen, würde er so agieren wie viele der öffentlichen und halböffentlichen Unternehmen. Selbstverständlich gibt es auch ordentliche Unternehmen im Eigentum des Staates, aber die sind wohl eher die Ausnahme. Möglicherweise sollten die Eigentümervertreter der Republik, vom Kanzler abwärts, einmal jene Gesetze in Sachen fahrlässiger Krida und Co bei sich selbst anwenden, die sie sonst gerne exekutieren lassen. Die Menschen spüren, nicht nur hier, dass es viele Forderungen des Staates an seine Bürger gibt, die selbst nicht einmal ansatzweise vorgelebt werden. Wasser predigen und Wein trinken gilt hier als oberstes Credo. Dieses Missverhältnis stößt einfach sauer auf, ebenso wie die Zweiklassenjustiz in diesem Land. So weit so blöd.
Und auch mit dem Vorwurf der Feigheit hat Treichl zu 100% ins Schwarze getroffen.“ In der Politik wird viel geredet und wenig umgesetzt.“ hat er es für meine Begriffe ohnehin noch recht milde formuliert. Denn auch wenn es da oder dort die Erkenntnis gibt, dass vieles in diesem Land falsch läuft: Wehe dem der die Dinge anpackt! Schließlich liegt der Focus auf dem Erhalt der eigenen Funktion. Die Reformen können warten. Die Rechnung dürfen dann traditionell jene bezahlen, die keine Lobby haben. Die Feigheit bekommen Ausländer, Kinder, Mindestrentner, Arbeitslose, Behinderte oder Sozialhilfeempfänger zu spüren. Damit auf deren Kosten die Proporzsysteme finanziert werden können. Alleine durch die Abschaffung aller Doppelgleisigkeiten bei den Personalbesetzungen – ist es notwendig, dass jeder Schwarze einen Roten Aufpasser und umgekehrt bekommt? – könnten viele Millionen in Vorstandsetagen, Geschäftsführungen und Aufsichtsräten eingespart werden. Gar nicht zu reden von vielen Unternehmen im Eigentum des Staates, die nur zum Zwecke der Versorgung gegründet wurden. Was bleibt, ist das reglose Verharren im Stillstand. Phlegmatik fressen Zukunft auf. Gewissermaßen.
Aber wir dürfen uns trösten. Auch jenseits der Grenzen ist die Kombination aus Dummheit und Feigheit ein weit verbreitetes Phänomen. Staaten wie Griechenland, Portugal, Spanien und andere betreiben seit Jahren Bilanzfälschung im großen Stil. Die Zahlen im Staatshaushalt werden geschönt, die EU Kommission sieht zu, am Tisch immer mit dabei die Staats- und Regierungschefs der EU Mitgliedsstaaten unter Begleitschutz ihrer Finanzminister. Für die Dummheit spricht, dass die Politiker nicht verstanden haben, was gängige Praxis war, um Kriterien der Euro-Zone zu erfüllen, für die Feigheit spricht, es gewusst und nichts dagegen unternommen zu haben.
Man lasse sich das auf der Zunge zergehen: Das hoch verschuldete Portugal hat ein Rettungspaket im Umfang von 78 Milliarden Euro ausgehandelt, das die Steuerzahler bezahlen dürfen. Was würde mit einem Unternehmer passieren, der Bilanzen fälscht, was würde mit jenen Personen passieren, die derartige Praktiken tolerieren? Die einen würden wegen Bilanzfälschung vorm Strafrichter sitzen, die anderen dürften sich wegen Beihilfe verantworten. Für die Politik gelten all diese Maßstäbe nicht, hohe Funktionäre versenken champagnernippend Milliarden, während der Pöbel ausgequetscht wird. So what? Zufall oder nicht, gestern erst hat der Steiermärkische Landtag die Novellierung des Raumordnungsgesetzes betreffend Großställe für Schweine, Kühe und sonstiges Getier beschlossen. Vielleicht kommt da ja Bewegung ins Spiel. Man muss klein anfangen.